Projektverbund BayÖkotox – Ökotoxikologische Bewertung von Stoffen in der Umwelt
„Alle Ding' sind Gift und nichts ist ohn' Gift - allein die Dosis macht, daß ein Ding' kein Gift ist“. Dieses berühmte Zitat des Schweizer Arztes namens Theophrastus Bombast von Hohenheim, der uns als Paracelsus bekannt ist, spiegelt den Bezug von Stoffen zur Umwelt und zum Menschen wider. Zunehmend werden immer mehr Partikel und Stoffe durch unser Handeln und Wirtschaften in die Umwelt eingetragen und hinterlassen dort Spuren. Die Ökotoxikologie untersucht die Auswirkungen von chemischen Stoffen oder Partikeln auf Pflanzen, Tiere und Umweltmedien. Dabei werden alle biologischen Ebenen betrachtet, von der kleinsten Ebene der Moleküle bis hin zu ganzen Ökosystemen. Für die Politik und die Umweltverwaltung liefert die Ökotoxikologie wertvolles Hintergrundwissen und Entscheidungsgrundlagen für den Umgang mit Stoffen und ihren Produkten.
Ökotoxikologie in Bayern
Die Ökotoxikologie untersucht die Auswirkungen von Chemikalien oder Partikeln auf die Umwelt.
zum VideoIm Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz hat das Bayerische Landesamt für Umwelt den Projektverbund BayÖkotox konzipiert und von 2020 bis 2023 koordiniert. Sechs anwendungsorientierte Fachprojekte erforschten interdisziplinär aktuelle Themen und gesellschaftliche Fragestellungen aus den Schwerpunktthemen „Insekten“, „Verkehr“ und „Baustoffe“. Gerade für komplexe Zusammenhänge lohnt sich die Zusammenarbeit an der Schnittstelle diverser Fachdisziplinen wie Biologie, Ökologie und Ingenieurwissenschaften. Einige der Projekte hatten für die erfolgreiche Umsetzung ihrer Vorhaben Kooperationen geschlossen, beispielsweise mit Imkern aus der Region oder auch mit wissenschaftlichen Partnern. Die Projekte waren im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens unter Beteiligung externer Gutachter ausgewählt worden.
Teilprojekte:
Der Projektverbund bestand aus drei Schwerpunkten mit insgesamt sechs Forschungsprojekten und einem Vorhaben, das den Verbund koordiniert. Die beteiligten Forschungseinrichtungen sind in der Karte ersichtlich. Neben der Universität Bayreuth und der Universität in Regensburg, welche jeweils zwei Projekte beheimateten, waren die Hochschule Coburg und die Universität Würzburg mit jeweils einem Projekt am Verbund beteiligt.
Koordinierungsvorhaben
Besonders an BayÖkotox wardie Konzeption der Forschungsprojekte in einem Projektverbund. Während der Laufzeit fanden regelmäßige Austausch- und Netzwerkveranstaltungen, digital und in Form von persönlichen Treffen statt. Davon profitierte die Arbeit an den Projekten und die bestehenden Fachinstitute wurden besser miteinander vernetzt. Das Landesamt für Umwelt koordinierte den Projektverbund inhaltlich und organisatorisch.
Schwerpunkt: Insekten
Teilprojekt 1 Einfluss von Insektengiften auf die Partner- und Wirtsfindung
Prof. Dr. Joachim Ruther
Institut für Zoologie, Professur für Chemische Ökologie, Universität Regensburg
Im Projekt „Einfluss von Insektengiften auf die Partner- und Wirtsfindung“ wurden subletale Effekte von vier Insektiziden (Acetamiprid, Dimethoat, Flupyradifuron und Sulfoxaflor) auf die Partner- und die Wirtsfindung von drei parasitischen Wespenarten (Nasonia vitripennis, Lariophagus distinguendus und Leptopilina heterotoma) untersucht. Parasitische Wespen sind als natürliche Feinde anderer Insekten wichtig für die Aufrechterhaltung ökologischer Gleichgewichte. Der Geruchssinn ist für sie zur Partner- und Wirtsfindung unabdingbar. Entsprechende Tests konnten für alle untersuchten Arten entwickelt und etabliert werden. Obwohl direkte Effekte subletaler Dosen auf die Nachkommenzahl eher gering sind, zeigte sich, dass subletale Dosen aller vier Wirkstoffe bei mindestens einer der getesteten Arten die sexuelle Kommunikation und/oder die Wirtsfindung beeinträchtigten. Die Empfindlichkeit ist dabei abhängig von Wirkstoff und Wespenart. Effekte zeigen sich teilweise bereits im Subnanogrammbereich; die Aufnahme biologisch relevanter Mengen der Wirkstoffe erscheint realistisch.
Es kann davon ausgegangen werden, dass dies die wichtige Funktion parasitischer Wespen als natürliche Gegenspieler in Ökosystemen negativ beeinflusst. Da das Geruchssystem bei vielen Insekten vergleichbar ist, können ähnliche Effekte bei anderen Insekten nicht ausgeschlossen werden. Somit lieferte das Projekt auch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des in weiten Teilen der Welt zu beobachtenden Insektenrückgangs. Bei der Zulassung neuer Wirkstoffe wäre es daher sinnvoll, zukünftig die subletalen Effekte auf Nichtzielorganismen stärker zu berücksichtigen. Die entwickelten Modellsysteme und Biotestverfahren könnten im Rahmen von Zulassungsverfahren eingesetzt werden.
Teilprojekt 2 Honig- und Wildbienen unter Stress
Prof. Dr. Ricarda Scheiner
Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie u. Sozialbiologie, Universität Würzburg
Im Projekt „Honig- und Wildbienen unter Stress“ wurden die Auswirkungen der Mischtoxizität eines Insektizids (Acetamiprid) und Fungiziden (Boscalid / Dimoxystrobin), die in der Rapsblüte oftmals zeitnah eingesetzt werden, auf Bienen untersucht. Die Untersuchungen zu Honigbienen zeigten negative synergistische Ef-fekte auf die Überlebensrate, Gewicht und Freifluglernen, wenn eine Mischung aus Insektizid und Fungiziden um den Faktor 10 mehr als feldrealistisch (simuliert Anwendungsfehler) verwendet wurde. Weitere Versuche (Empfindlichkeit für Zuckerwasser, andere kognitive Tests, Sammelverhalten), auch bei Wildbienen (Hummeln), ließen bei den getesteten Bedingungen i. W. keine Effekte erkennen. Ein großangelegter Feldversuch ergab, dass mögliche Effekte der gefütterten Insektizid-Fungizid-Mischungen auf die Volksentwicklung und den Polleneintrag der Honigbienen in allen Landschaftskategorien in der Regel kompensiert wurden. Insgesamt leistete das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der Wirkung multipler Stressoren auf Honig- und Wildbienen. Dabei wurde eine hohe Praxisrelevanz u. a. durch die Auswahl der untersuchten Wirkstoffe sowie durch die Verwendung von feldrealistischen Konzentrationen sichergestellt.
Das Projekt liefert einen wichtigen Beitrag zur Frage, wie man die Auswirkungen von Mischungen auf Umwelt und Gesundheit künftig bewerten kann. Es wurden Testmethoden aufgezeigt, um die Untersuchung der Mischtoxizität im Zulassungsverfahren zu etablieren.
Teilprojekt 3 Verunreinigungen in Bienenwachs
Prof. Dr. Erhard Strohm
Institut für Zoologie, Professur für Evolutionäre Ökologie, Universität Regensburg
„Verunreinigungen in Bienenwachs“ waren Thema eines Projekts der Universität Regensburg. Pflanzenschutzmittel und andere von Menschen produzierte Umweltchemikalien können sich in Bienenwachs anreichern. Wachs aus konventioneller Imkerei enthielt deutlich mehr Schadstoffe als Wachs aus Bio-Imkerei. Der Pestizideintrag war an überwiegend konventionell bewirtschafteten Standorten erhöht. Bienenköniginnen bevorzugten sauberes Wachs bei der Eiablage, jedoch konnten keine negativen Effekte von kontaminiertem Wachs nachgewiesen werden, weder auf die Entwicklung und den Honigertrag von Bienenvölkern noch auf die Flug- und Lernleistung sowie das Heimfindevermögen einzelner Arbeiterinnen. Die Ergebnisse zu den Effekten auf das Immunsystem von Honigbienen waren uneinheitlich. Es gab keine signifikanten Effekte der Wachsqualität auf zwei Immunkompetenz-Indikatoren. Ein Immunindikator war bei belastetem Wachs erhöht. Die Ergebnisse wurden in Form von Handlungsempfehlungen für Imker zugänglich gemacht.
Schwerpunkt: Verkehr
Teilprojekt 4 Einfluss von Feinstaub auf Insekten
Prof. Dr. Heike Feldhaar
Lehrstuhl für Tierökologie I, Universität Bayreuth
Im Projekt „Einfluss von Feinstaub auf Insekten“ wurden erstmals die Auswirkungen von Feinstaubpartikeln aus motorischen Verbrennungsprozessen auf die Dunkle Erdhummel untersucht. In kontrollierten, realitätsnahen Betriebsszenarien am Motorenprüfstand wurden erfolgreich nanoskalige Dieselrußpartikel i. W. unter 100 nm erzeugt und in ihrer elementaren Zusammensetzung charakterisiert. In Expositionsversuchen konnte gezeigt werden, dass Dieselrußpartikel sowohl über das Tracheensystem, dem „Atmungsorgan“ der Insekten, als auch über die Nahrung aufgenommen werden. Dabei wurde erstmals eine geschlechtsspezifische Akkumulation von Feinstaubpartikeln innerhalb des Darms beobachtet. In ökotoxikologischen Versuchen mit sehr hohen Dosen konnten keine akuten Effekte durch entsprechende Partikel festgestellt werden, jedoch ergaben sich erstmalig Hinweise auf subletale Wirkungen bei chronischer Exposition wie Veränderungen des Flugverhaltens, der Zusammensetzung des Darmmikrobioms (Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm) und der Genexpression (Änderung des Musters aktiver Gene bei UFP-exponierten Hummeln gegenüber unbelasteten Exemplaren). Auf die Kolonieentwicklung der Dunklen Erdhummel hatte die Behandlung mit Dieselruß keinen signifikanten Einfluss.
Teilprojekt 5 Einfluss von Feinstaub auf Pflanzen
Prof. Dr. Stephan Clemens
Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie, Universität Bayreuth
Das Projekt „Einfluss von Feinstaub auf Pflanzen“ adressierte mögliche ökotoxische Auswirkungen metallischer ultrafeiner Partikel (UFP) aus Bremsabrieb auf Pflanzen, deren Aufnahme in Blättern sowie Effekte auf physiologischer und genetischer Ebene. Hierzu wurden UFP, z. T. agglomeriert, an einem Bremsenprüfstand unter möglichst realitätsnahen Bedingungen aus Bremsabrieb erzeugt, charakterisiert und mit Umweltproben (Innenstadt) verglichen. Autobahnbremsungen zeigten im Vergleich zu Bremssituationen im innerstädtischen und Überlandverkehr Emissionen mit dem höchsten UFP-Anteil. Diese können durch den Einsatz keramischer Leichtbau-bremsscheiben um über 95 % reduziert werden. Mithilfe einer neu entwickelten Expositionskammer konnten erfolgreich realitätsnahe und reproduzierbare Expositionsexperimente mit der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) am Bremsenprüfstand durchgeführt werden. Bei entsprechenden Versuchen wurde beobachtet, dass die Exposition von Pflanzen gegenüber UFP zu Veränderungen in der Genexpression in den Blättern führt. Das Muster der aktiven Gene in den UFP ausgesetzten Blättern, und in der Folge die daraus resultierenden Eiweißstoffe, zeigte Änderungen gegenüber dem Muster in unbelasteten Blättern. Eine direkte Aufnahme von UFP über die Spaltöffnungen der Blätter sowie Effekte auf die Fitness der untersuchten Pflanzen konnten nicht nachgewiesen werden.
Schwerpunkt: Bauen
Teilprojekt 6 Bewertung biozidhaltiger Baustoffe
Prof. Stefan Kalkhof
Institut für Bioanalytik, Hochschule Coburg
Das Projekt „Bewertung biozidhaltiger Baustoffe“ konnte zeigen, dass Fassadenablauf aus dem ersten Monat eines Freilandversuchs ökotoxikologische Effekte auf verschiedene Modellorganismen hat. Biozide werden eingesetzt, um u. a. Fassaden zu schützen. Durch Regenereignisse können sie ausgewaschen werden und in die Umwelt gelangen. Durch gezielte Verkapselung der Biozide, aber auch durch ungewollten, bestrahlungsbedingten Abbau kann die Konzentration der ausgetragenen Biozide reduziert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass der kombinierte Eintrag von Bioziden, die häufig in Baumaterialien verwendet werden, die Bodenatmung, die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Bodens und das gesamte Bodenmikrobiom nicht signifikant verändert. Biozide haben jedoch Auswirkungen auf die aktiven mikrobiellen Gemeinschaften im Boden. Methodisch konnte so gezeigt werden, dass die neu eingeführten Untersuchungsverfahren im Vergleich zu den klassischen Methoden (DIN-Normen) eine umfassendere quantitative und qualitative Informationstiefe liefern und somit die Bewertung des Biozideinsatzes in Baustoffen als Umweltrisiko für den Boden erleichtern. Für eine tiefenabhängige Abschätzung der Biozidverteilung im Boden wurde eine Methode entwickelt, die eine Kombination aus zwei Simulationsprogrammen umfasst. Damit lassen sich Daten flexibel anpassen und auf die Szenarien zur Gefährdungsbeurteilung adaptieren. Eine experimentelle Überprüfung der Modelle zeigte eine gute Übereinstimmung für die oberen Bodenschichten bis fünf Centimeter. Allerdings konnte experimentell eine deutlich tiefere Verteilung der Biozide gefunden werden als durch die Modelle vorhergesagt wurde, so dass eine weitere Optimierung der Modelle vorteilhaft wäre.
Gesamtfinanzierung
Der Projektverbund wird mit 2,1 Millionen Euro durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz finanziert.