Neue molekularbiologische Techniken (Genscheren)
Neue molekularbiologische Techniken, abgekürzt NMT, sind Verfahren aus dem Bereich der Biotechnologie. Sie können das Erbgut eines Organismus zielgenau verändern und werden unter den Begriffen „Genscheren“, „Gen-Chirurgie“, Genomeditierung oder „Genome Editing“ zusammengefasst.
Derzeit nutzt sie vor allem die Forschung. Anwendungsziele liegen in den Bereichen Pflanzenzucht, Medizin und der Biotechnologie selbst. Aus Sicht vieler Fachleute stellen sie als Weiterentwicklung der klassischen Erzeugung von Mutationen im Erbgut (Mutagenese) ein nützliches weiteres Werkzeug der Züchtung dar. So könnten zum Beispiel wichtige Nutzpflanzen schneller an den Klimawandel angepasst oder Verluste durch Unempfindlichkeit von Pflanzen gegenüber Schädlingen vermieden werden. Andere vermuten hingegen mögliche unbekannte Risiken der neuen Techniken und wollen an der derzeit strengen Regulierung in Europa festhalten.
Wie eine Genschere funktioniert
Um zu verstehen, wie eine Genschere gezielt das Erbgut verändern kann, muss man zuerst einmal wissen, wie das Erbgut genau aufgebaut ist.
Einführung zum Aufbau des Erbguts
Das Erbgut, die Desoxyribonukleinsäure DNA, besteht aus zwei miteinander verknüpften Nukleinsäure-Einzelsträngen. Diese sind wiederum aus einzelnen Erbgut-Bausteinen, sogenannten Basen, aufgebaut.
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Es gibt vier mögliche DNA-Basen: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T).
Die Verknüpfung der Einzelstränge zu einem DNA-Doppelstrang kommt dadurch zustande, dass sich diese Basen immer paarweise aneinanderbinden. Sie bilden sogenannte A-T- bzw. G-C-Basenpaare. Die Abfolge dieser Basen, DNA-Sequenz genannt, bestimmt letztlich die im Erbgut enthaltene Information. Erbgut-Abschnitte, die Informationen für ein bestimmtes Eiweiß (Protein) tragen, nennt man Gene.
Um die Information der DNA abrufen zu können, wird in der Zelle der Doppelstrang stellenweise voneinander getrennt und eine einzelsträngige Kopie dieses Abschnitts mit einem leicht anderen Aufbau, die sogenannte Ribonukleinsäure RNA, erstellt. Diese kann dann in einem zweiten Schritt in ein Eiweiß umgeschrieben werden. Dabei bestimmt immer die Folge von drei Basen bei allen Lebewesen den gleichen Eiweißbaustein, der auch Aminosäure genannt wird.
Die Genschere CRISPR/Cas
In den vergangenen Jahren wurde die Genschere CRISPR/Cas erforscht und weiterentwickelt. Mit ihr können die gezielten Veränderungen im Erbgut nun anders als zuvor einfach und kostengünstig erzeugt werden. Das hat zu einem Boom bei den neuen molekularbiologischen Techniken geführt.
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Die Genschere besteht dabei aus einem als DNA-Schere genutzten Protein und einem RNA-Stück, das einer bestimmten Basenfolge der DNA entspricht. Damit kann sie an diesen Ort des Erbguts geführt werden und zerschneidet dann an dieser Stelle den DNA-Doppelstrang. In der Natur nutzen Bakterien dieses System, um gezielt das Erbgut für sie schädlicher Bakterienviren zu zerschneiden, bevor dieses Schaden anrichten kann. Forscher haben herausgefunden, dass die Genschere nicht nur in Bakterien gezielt DNA schneiden kann, sondern in nahezu jedem Lebewesen. Da man RNA-Stücke für eine beliebige Erbgut-Sequenz heute leicht und für wenig Geld herstellen lassen kann, haben die Wissenschaftler nun ein einfaches Werkzeug zum gezielten Schneiden des Erbguts.
Genscheren bewirken Mutationen genannte Veränderungen im Erbgut
Teil 1: Deletionsmutationen
Macht man nach dem Schnitt der Genschere nichts weiter, führt dies oft dazu, dass die Zelle beim Zusammenbau der beiden losen Enden ein Basenpaar weglässt. Die Basenfolge ist dann so geändert, dass die Genschere nicht erneut schneidet. Allerdings fehlt nun auch ein Basenpaar.
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Wie in der Einführung zum Aufbau des Erbguts erklärt, ist zum Lesen des Erbguts immer eine Dreierfolge von Basen wichtig. Durch das Fehlen einer Base ist daher der gesamte Bauplan für das betroffene Eiweiß nicht mehr zu lesen. Das nachfolgende Beispiel zeigt anhand eines Textes, wie man sich das vorstellen kann. Darin wurde das dick-schwarz gefärbte C im zweiten Wort ICH entfernt und alle folgenden Buchstaben nachgerückt.
Original: | ALS | ICH | BEI | EVA | WAR | TAT | SIE | MIR | GUT |
Verändert | ALS | IHB | EIE | VAW | ART | ATS | IEM | IRG | UT |
Man nennt diese Veränderung eine Deletionsmutation. Wissenschaftler können auf diese Weise gezielt einen Erbgut-Abschnitt mit CRISPR/Cas ausschalten.
Auch in der Natur kommt es bei allen Lebewesen zu derartigen Veränderungen, wenn der DNA-Strang beispielsweise aufgrund starker Sonneneinstrahlung bricht. Allerdings passiert dies an zufälligen Stellen im Erbgut, so dass eine Nutzung bei der Züchtung von Pflanzen hier schwierig und zeitaufwändig ist.
Genscheren bewirken Mutationen genannte Veränderungen im Erbgut
Teil 2: Punktmutationen
Bei einer Punktmutation genannten Veränderung ist eine Base in der Basenfolge durch eine andere ersetzt worden. Dadurch ist der Bauplan für das betroffene Eiweiß noch zu lesen, hat aber einen geringfügig geänderten Sinn.
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Im nachfolgenden Textbeispiel wurde das dick-schwarz gefärbte A im vierten Wort EVA durch ein I ersetzt.
Original: | ALS | ICH | BEI | EVA | WAR | TAT | SIE | MIR | GUT |
Verändert | ALS | ICH | BEI | EVI | WAR | TAT | SIE | MIR | GUT |
Um eine solche Veränderung zu erreichen, führen Wissenschaftler zusätzlich zur Genschere selbst noch einen kurzen DNA-Abschnitt mit in die Zelle ein. Dieser Abschnitt trägt die gewünschte Veränderung. Die Zelle nutzt nun einen anderen Mechanismus zur Reparatur. Der zugegebene Abschnitt wird als Vorlage verwendet und die Veränderung so im Erbgut mit eingebaut.
Auch in der Natur entstehen Punktmutationen. Sie treten unter anderem bei der Vervielfältigung des Erbguts auf. Das von den Zellen genutzte System zur Verdopplung der DNA hat zwar eine sehr geringe aber trotzdem existierende Fehlerrate. Diese ist sogar wichtig und eine der Grundlagen für die Weiterentwicklung von Organismen. So unterscheidet sich zum Beispiel jede einzelne Pflanze auf einem Getreidefeld von den anderen um sie herum durch mehrere Punktmutationen.
Allerdings ist auch dies wiederum nur an zufälligen Stellen im Erbgut der Fall, so dass die Nutzung im Rahmen der Züchtung hier erneut zeitaufwändig ist da man sehr viele Pflanzen untersuchen muss, um eine mit einer vorteilhaften Änderung zu finden.
Genscheren können auch klassische Gentechnik
Die klassische Gentechnik zeichnet sich durch die Übertragung neuer oft artfremder Erbgutabschnitte aus. Klassische Gentechnik und Mutagenese unterscheiden sich somit grundlegend. Klassische Verfahren der Mutagenese wie chemische oder Strahlenmutagenese wurden daher von Beginn an vom Gentechnikrecht ausgenommen.
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Bei klassischer Gentechnik wird in der Basenfolge eine längere fremde Information eingesetzt. Der Bauplan für das betroffene Protein wird so oft grundlegend geändert und eine völlig neue Information eingefügt. Im nachfolgenden Textbeispiel wurde zwischen den Worten ICH und BEI der dick-schwarz gefärbte Text eingefügt. Das Sternsymbol steht dabei für ein Stoppsignal.
Original: | ALS | ICH | BEI | EVA | WAR | TAT | SIE | MIR | GUT |
Verändert | ALS | ICH | UDO | TED | UND | JAN | SAH | WAR | ICH |
ARM | *BE | IEV | AWA | RTA | TSI | EMI | RGU | T |
Um eine derartige Veränderung zu erreichen, führen Wissenschaftler zusätzlich zur Genschere selbst noch einen langen DNA-Abschnitt mit in die Zelle ein. Dieser Abschnitt trägt an den Rändern jeweils ein Stück der Sequenz links und rechts des Schnittes und dazwischen die neue oft artfremde Information. Die Zelle nutzt nun erneut den Mechanismus zur Reparatur, der den zugegebenen Abschnitt als Vorlage verwendet und die neue Information so im Erbgut mit einbaut.
Weiterführende Informationen
- Anwendungsbeispiele von Genscheren
- Klassische Mutagenese und Genscheren im Vergleich
- Rechtliche Situation bei der Nutzung von Genscheren
- Gentechnik