Spurenstoffe und vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen
In Bayern bestehen etwa 2.500 kommunale Kläranlagen. Das Abwasser wird dort in drei Stufen durch mechanische, biologische und chemische Verfahren eliminiert. Danach enthält es aber noch eine Vielzahl an Spurenstoffen, die z. B. aus Arzneimitteln, Kosmetika, Reinigungsmitteln und anderen Haushalts- und Industriechemikalien stammen. Die Reinigungsleistung für solche Stoffe kann durch eine zusätzliche vierte Reinigungsstufe verbessert werden. Dafür bestehen derzeit zwar weder eine rechtliche Verpflichtung noch ein akuter Handlungszwang für Bayern, ein vorsorglicher Ausbau von ausgewählten Kläranlagen ist jedoch eine sinnvolle Zukunftsaufgabe für einen nachhaltigen Gewässerschutz.
In Bayern wird hierzu ein Stufenplan umgesetzt:
- Die Belastung bayerischer Gewässer mit Spurenstoffen wurde erfasst und bewertet
- Der aktuelle Stand der Erkenntnis zu Abwassertechnologien für eine gezielte Spurenstoffelimination wurde ermittelt.
- Auf der Kläranlage Weißenburg i. Bay. wurde ein Pilotvorhaben vom Freistaat gefördert.
- Kriterien für die Auswahl ausbaurelevanter Kläranlagen wurden festgelegt
- Die Förderung freiwilliger Maßnahmen wird geprüft.
Spurenstoffe im Kläranlagenablauf: Restbelastung trotz hervorragender Reinigungsleistung
Die herkömmliche Abwasserreinigung in kommunalen Kläranlagen erfolgt in drei Stufen:
- Ungelöste Stoffe werden mechanisch abgetrennt, z. B. durch Rechenanlagen und Absetzeinrichtungen.
- Mikroorganismen bauen gelöste organische Stoffe auf biologischem Wege ab und entfernen Stickstoffverbindungen. Schlecht lösliche Verbindungen werden z. T. an den Klärschlamm gebunden und mit diesem entfernt.
- Zur Elimination von Phosphorverbindungen wird das Abwasser chemisch gefällt.
Durch diese Prozesse werden die organischen Stoffe im Durchschnitt zu über 95 % entfernt. Im Abwasser verbleiben trotz dieser hervorragenden Reinigungsleistung insbesondere Stoffe, die gut wasserlöslich und biologisch schlecht abbaubar sind. Zum Teil sind sie natürlichen Ursprungs, aber es treten auch eine Vielzahl von Verbindungen auf, die vom Menschen hergestellt wurden. Ihre Konzentration im Abwasser liegt im Bereich „Mikrogramm pro Liter“ (= ein Millionstel Gramm pro Liter). Daher werden sie als anthropogene Spurenstoffe oder Mikroverunreinigungen bezeichnet. Über den Kläranlagenablauf, aber auch über z. B. Niederschlagswasser, Bodenerosion und Einträge aus der Luft, gelangen sie in Oberflächengewässer und werden dabei weiter verdünnt. Die resultierenden Konzentrationen können dennoch mit hochentwickelten Analysenmethoden nachgewiesen werden. Die Spurenstoffe im Kommunalabwasser stammen meist aus Produkten, die im Haushalt, in öffentlichen Einrichtungen, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft eingesetzt werden. Wegen ihrer Stabilität bleiben sie im Wasserkreislauf langfristig erhalten und können daher auch für die Trinkwassergewinnung von Bedeutung sein. Bedenklich sind insbesondere solche Stoffe, die aufgrund bekannter biologischer Wirkungen die Gewässerqualität und die Gewässernutzung beeinflussen können. Als Quelle kommen vor allem Arzneimittel, Biozide, Pflanzenschutzmittel, Wasch- und Reinigungsmittel, Körperpflegeprodukte sowie Baustoffe und Gebrauchsgegenstände in Frage. Im Verhältnis zur Vielfalt an Spurenstoffen, die man in Gewässern bisher gefunden hat, sind jedoch nur für relativ wenige Vertreter konkrete Wirkungen bekannt. Maßnahmen zur Verminderung von Spurenstoffeinträge in Gewässer orientieren sich daher am Vorsorgegedanken.
Vermeidungsmaßnahmen und Einsatzbeschränkungen bereits an der Quelle, also bei der Herstellung und beim Gebrauch von Produkten, sind einer zusätzlichen Abwasserbehandlung grundsätzlich vorzuziehen. Entsprechende rechtliche Vorgaben können im Wesentlichen nur auf EU- bzw. Bundesebene festgelegt werden. Besonders problematische Stoffe in Haushalts- und Industriechemikalien sind bereits Gegenstand chemikalienrechtlicher Regelungen. Dieses Instrument kann auch künftig zur Minimierung des Eintrags weiterer Problemstoffe angewendet werden. Bei der Zulassung von Humanarzneimitteln steht jedoch die Bewertung der Wirksamkeit und des Nutzens im Vordergrund. Mögliche Umweltauswirkungen stellen kein Ausschlusskriterium dar. Der Ausbau von ausgewählten Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ist daher langfristig ein sinnvoller Beitrag zur Verringerung des Spurenstoffeintrags.
Eine vierte Reinigungsstufe für die Entfernung von Spurenstoffen
Für eine weitergehende Entfernung von Spurenstoffen auf Kläranlagen durch eine vierte Reinigungsstufe sind derzeit im Wesentlichen zwei Verfahrenstechniken verfügbar:
- Ozonung: Durch Einbringen des starken Oxidationsmittels Ozon in das vorgereinigte Abwasser werden die Spurenstoffe weitgehend abgebaut;
- Aktivkohleadsorption: Spurenstoffe können an Aktivkohle gebunden werden, die entweder als Pulver oder in gekörnter Form (Granulat) eingesetzt wird.
Diese Verfahren gehen über das Niveau „Stand der Technik“, das im Wasserhaushaltsgesetz für die Abwasserreinigung gefordert ist, hinaus. Auch allgemein anerkannte Regeln der Technik für Planung, Errichtung und Betrieb bestehen noch nicht. Entsprechende Projekte wurden bislang in größerem Umfang vor allem in der Schweiz, in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf freiwilliger Basis und gestützt durch Fördermaßnahmen durchgeführt. Bei den meisten Vorhaben ergaben sich zusätzliche spezifische Jahreskosten im Bereich von 0,10 bis 0,25 € pro m³ Abwasser. Die tatsächlichen Kosten können im Einzelfall deutlich davon abweichen. Eine vierte Reinigungsstufe verursacht nicht nur zusätzliche Kosten, sondern - im Hinblick auf den Bedarf an Energie und Betriebsmitteln sowie das Abfallaufkommen - auch zusätzliche Auswirkungen auf die Umwelt. Die Entscheidung darüber, wo solche Maßnahmen sinnvoll sind, muss daher im Rahmen eines fachlich abgesicherten Gesamtkonzepts erfolgen.
Ein Stufenplan für Bayern
Zur Abschätzung der Handlungsmöglichkeiten und -prioritäten ist eine systematische Vorgehensweise in Form eines Stufenplans gewählt worden. Als erste Stufe wurde die Belastung bayerischer Gewässer für 12 Wirkstoffe systematisch analysiert. Dafür wurden Gewässeruntersuchungen durchgeführt und ein Stoffflussmodell entwickelt. Dabei hat sich Diclofe¬nac, das in großem Umfang für die Schmerz- und Entzündungstherapie eingesetzt wird, als wesentliche Leitsubstanz herausgestellt. Bei einigen längeren Fließgewässerabschnitten ist von Überschreitungen des relevanten Qualitätszieles auszugehen. Davon betroffen sind die Regnitz und die Isar unterhalb der Abwassereinleitungen aus den Ballungszentren Nürnberg bzw. München, sowie einige kleinere Flüsse mit hohem Abwasseranteil im Einzugsgebiet von Main und Donau. In einer zweiten Phase wurden die Erkenntnisse aus Vorhaben mit einer vierten Reinigungsstufe im deutschen Sprachraum systematisch zusammengestellt und eine Bewertung der eingesetzten Technologien vorgenommen. Dies hat zur Entscheidung geführt, als dritte Phase ein großtechnisches Pilotvorhaben für eine vierte Reinigungsstufe auf der Kläranlage Weißenburg i. Bay durchzuführen. Es wurde ein Reinigungsverfahren mit Ozon gewählt, dem ein Sandfilter und ein Filter mit granulierter Aktivkohle im Parallelbetrieb nachgeschaltet sind. Die Anlage ist seit Oktober 2017 in Betrieb.
Begleitende wissenschaftliche Untersuchungen prüfen ihre Wirksamkeit sowie die betrieblichen Optimierungsmöglichkeiten. Allgemein nutzbare Hinweise für ähnliche Vorhaben ergeben sich daraus.
Bayern hat sich in den 2016 angelaufenen Dialogprozess für eine bundesweite Spurenstoffstrategie aktiv eingebracht. Als Ergebnis wurde unter anderem ein Orientierungsrahmen als allgemeines Ablaufschema für die Identifizierung ausbaurelevanter Kläranlagen erarbeitet. Davon ausgehend wurden in einer nächsten Etappe des Stufenplans für Bayern weitergehende fachliche Kriterien für die Identifizierung und Priorisierung ausbaurelevanter Kläranlagen erarbeitet. Wesentliche Aspekte sind:
- die Ausbaugröße der Kläranlage (als Maß für die eliminierbare Spurenstofffracht; grundsätzlich relevant sind zunächst Kläranlagen mit einer Ausbaugröße über 10.000 EW);
- der von der Kläranlage verursachte Abwasseranteil im Gewässer (als Maß für den potenziellen Einfluss auf die Gewässerökologie);
- die Relevanz der Abwassereinleitung für die Trinkwasserversorgung (Auswirkungspotenzial für unter- und oberirdische Rohwasserreservoire).
Eine entsprechende Auswertung hat etwa 90 Kläranlagen ergeben, die langfristig in einem bayernweiten Ausbauprogramm berücksichtigt werden sollen. DasBayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz hat hierzu ein Förderprogramm aufgelegt, über das die Nachrüstung von 13 Kläranlagen der höchsten Priorität mit einer vierten Reinigungsstufe gefördert werden kann. Details zum Förderprogramm können unter den nachstehenden weiterführenden Informationen abgerufen werden.